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Semana Santa in Antigua

Die Semana Santa (Karwoche, wörtlich: heilige Woche) in Antigua ist mehr eine Semana Loca (verrückte Woche), denn es strömen hunderttausende (vorwiegend guatemaltekische) Touristen in die 35.000-Einwohner-Stadt. Grund dafür sind die zahlreichen Oster-Prozessionen, die als die schönsten in ganz Mittelamerika gelten.

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Römische Soldaten

Die Prozessionen beginnen eigentlich schon mit dem Beginn der Fastenzeit, ihren Höhepunkt (und damit auch den Besucherhöhepunkt) erreichen sie aber am Karfreitag. Die grundsätzliche Struktur einer solchen Prozession ist praktisch immer dieselbe: Zu Beginn marschieren überraschenderweise immer ein paar römische Soldaten. (*) Meist ist es nur Fußvolk, mitunter sind aber auch berittene Soldaten und/oder Streitwagen dabei.

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Römische Soldaten

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Streitwagen

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Weihrauch

Danach folgt eine lange Prozession von Männern (und Buben), gekleidet in bunte Kutten (vor Karfreitag Mittag violett, gelegentlich auch rot/weiß, danach tiefschwarz) mit farblich passenden Kopfbedeckungen (außer Freitag Vormittag, da wird ein weißes Tuch zur violetten Kutte getragen). Je näher der Hauptteil der Prozession kommt, desto mehr dieser Männer tragen auch Schwenker mit Weihrauch mit sich herum.

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Gründonnerstagsprozessionen

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Gründonnerstagsprozession beim Verlassen der Kirche
von San Cristóbal el Bajo

Der wichtigste Teil der Prozession ist dann eine riesige Plattform, die einen das Kreuz tragenden Christus (vor Karfreitag Mittag) bzw. den aufgebahrten Leichnam Christus (nach Karfreitag Mittag) zeigt. Diese Plattform wird von Dutzenden Männern (in ebensolchen Kutten wie oben geschildert) auf den Schultern getragen, die sie langsamen Schrittes hin- und herwiegend durch die Gassen Antiguas bewegt. Nachdem eine einzelne Prozession typischerweise rund acht bis zwölf Stunden (!) dauert, wird natürlich laufend gewechselt. Daher sind so viele Männer in ihren Kutten am Beginn der Prozession unterwegs – anscheinend gehört es sich, dass man für einen (Groß-?)Teil der Prozession mitmarschiert, auch wenn man nicht gerade die Plattform trägt.

Unmittelbar im Anschluss an die Plattform folgen einige Trommler und ein kleines Orchester. Sofern letzteres nicht gerade (sehr tragende, requiem-artige) Musik macht, hauen die Trommler regelmäßig auf ihre großen Trommeln (wobei man bei manchen den Eindruck hat, dass sie eine Belohnung bekommen, wenn sie vor dem Ende der Prozession das Fell der Trommel zerstören).

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Karmittwoch- und Karfreitagsprozession

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Gründonnerstagsprozession von San Francisco el Grande

Danach sind die Frauen (und Mädchen) an der Reihe, die ihrerseits eine Plattform mit der Jungfrau Maria tragen (wobei auch hier die derzeit nicht mit Tragen beschäftigten Frauen der Plattform vorausgehen, eventuell Weihrauch schwenkend). Auch sie werden von einer Musikgruppe (mit ähnlichem Repertoire) begleitet. Bei den Prozessionen am Karsamstag ist diese Marienplattform sogar die einzige Plattform (denn Jesus war da ja schon begraben). Ich vermute, dass er bei den Prozessionen am Ostersonntag wieder auftaucht, aber da sitze ich leider schon im Flieger in Richtung Heimat.

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Karsamstagsprozession der Escuela de Cristo

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Karmittwochprozession von San Felipe de Jesús

Wenn man das nun so liest, könnte man denken, dass eine Prozession wie die andere ist: Hat man eine gesehen, hat man alle gesehen. Zu einem gewissen Grad stimmt das auch, wenn auch die einzelnen Platformen alle etwas unterschiedlich gestaltet sind, was die Motivation erhöht, jede zumindest einmal zu erspähen. (**) Manchmal gibt es auch ein paar zusätzliche Elemente: Bei einer Prozession sind beispielsweise kleine Wagen, die mittels Puppen die Stationen des Kreuzweges darstellen, vorangegangen. Trotzdem wird man der Prozessionen selbst nach gewisser Zeit etwas müde.

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Alfombra

Doch die (aus meiner Sicht) wahre Attraktion der Prozessionen liegt woanders: Die Bewohner der Gebäude entlang der Prozessionsrouten bereiten nämlich wunderschöne Alfombras vor, über die die Prozession schreiten kann. Dabei handelt es sich um kunstvolle Teppiche aus Piniennadeln, Blumen, Blütenblättern, eingefärbtem Sand oder farbigen Sägespänen, die auf der Straße ausgestreut werden. Manchmal werden auch Obst und/oder Gemüse ausgelegt (oder gar geschnitzt). Naturgemäß sind diese Alfombras nur von kurzer Dauer: Die Hauptplattform der Prozession (nicht allerdings die vorausschreitenden Römer, Männer in ihren Kutten, oder auch die angesprochenen kleinen Wägelchen) schreitet über diese Teppiche hinweg und zerstört sie schon wieder. Dementsprechend ist ganz am Ende jeder Prozession auch ein Putztrupp unterwegs, der die Überreste der Teppiche zusammenkehrt und in ein mitfahrendes Müllfahrzeug schaufelt.

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Alfombra

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Geschnitztes Obst und Gemüse

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Erstellung eines Alfombra

Manche dieser Alfombras sind rein ornamental, viele zeigen aber (auch) irgendein Motiv. Sehr beliebt sind Schmetterlinge, Vögel, aber (natürlich) auch das Antlitz Jesu. Bei den Karsamstagsprozessionen (die ja der Jungfrau Maria gewidmet sind) dominieren Herzen. Oft werden Schablonen vorbereitet, um dasselbe Motiv mehrmals auf identische Art und Weise in den Teppich zu integrieren; es gibt aber auch wahre Künstler, die eine großartige Freihand-Zeichnung aus Sand auf den Boden zaubern. Für mich war diese Alfombras das Highlight der Karwoche in Antigua. Dazu bin ich viele Kilometer durch die Altstadt spaziert, bin aber trotzdem bei weitem nicht alle Prozessionsrouten komplett abgegangen.

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Ornamentaler Alfombra

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Kunstvoller Alfombra


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Freihand-Alfombra

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Puppenverkauf

Diese ganzen Aktivitäten locken Unmengen an Touristen an, wobei es sich eben vor allem um lokale (guatemaltekische) Touristen handelt. Das gibt dem Ganzen ein besonderes Flair: Es tummeln sich unzählige Straßenhändler, die ihre Waren (kalte Getränke, Snacks, Eis, Hüte, Puppen, Spielzeug, etc.) an den Mann bringen wollen (und lautstark kundtun, was sie anzubieten haben). Auf den großen Plätzen drängen sich die Essenstände, dazwischen schlafen manche Besucher – denn alle Betten in Antigua sind zu dieser Zeit hoffnungslos ausgebucht, und außerdem finden manche Prozessionen auch mitten in der Nacht statt. Eine der beliebtesten beginnt beispielsweise am Karfreitag um 4:00 Uhr früh. Wer da zusehen will, wie sie die Kirche verlässt (anscheinend das Ereignis einer solchen Prozession) muss früh aufstehen oder durchmachen – insbesondere, wenn man vorher vielleicht auch noch einen Blick auf die Alfombras werfen möchte.

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Hutverkäufer

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Fliegende Händlerin

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Aufbahrung Jesu

Zwischendurch gibt es noch weitere religiöse Aktivitäten: Am Abend des Gründonnerstag finden in vielen Kirchen beispielsweise Andachten statt, zu denen auch Hunderte pilgern. Die Kirchen sind dabei mitunter auch mit Alfombras geschmückt, oder zeigen eine Szene aus dem Leben/Leiden Jesu mit ein paar Puppen. In der Kathedrale war beispielsweise eine Puppe von Jesus Christus aufgebahrt. Am Karfreitag um 12:00 Uhr Mittag wurde diese Puppe dann in einer Zeremonie tatsächlich ans Kreuz genagelt (oder eigentlich geschraubt) und das Kreuz in der Kirche aufgestellt. Drei Stunden später wurde die Puppe wieder vom Kreuz genommen – und wurde auf die Plattform gelegt, die dann zum Umzug verwendet wurde.

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Kreuzigung Jesu

Am Karfreitag Abend hat sich dann alles vor der Kathedrale versammelt, um das Vorbeiziehen einer der Prozessionen zu beobachten – die größte von allen, mit den oben schon angesprochenen Wagen zu den Stationen des Kreuzwegs. Dabei wurden die Gassen mit so viel Weihrauch eingenebelt, dass sich selbst ein Priester der Kathedrale (der solches ja gewohnt sein sollte) ein Taschentuch vor Nase und Mund halten mussten. Der gesamte Platz vor der Kathedrale war voller Menschen (wie eigentlich das ganze Stadtzentrum, vor allem am Karfreitag) – und trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen): Die Semana Santa in Antigua war ein beeindruckendes Erlebnis!

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La Merced

Abseits der Aktivitäten der Semana Santa habe ich mir auch ein wenig die Stadt angesehen: Kirchen und Klöster gibt es hier wahrlich genug. Einige davon sind allerdings nur noch Ruinen, bedingt durch die häufigen Erdbeben in der Region. Das macht sie aber mitunter nicht weniger beeindruckend – im Gegenteil!

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San Francisco el Grande

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La Recolección

Alles in allem: Antigua war eine Kolonialstadt ganz nach meinem Geschmack – ein toller Abschluss für meine zweimonatige Reise durch Mittelamerika.


(*) Ich kenne meine Bibel zu wenig, aber es hat wohl mit der Rolle von Pontius Pilatus bei der Kreuzigung Jesu zu tun.

(**) Das ist auch nicht weiter schwierig: Wenn man in der Karwoche in den Straßen des Stadtzentrums unterwegs ist, stößt man früher oder später unweigerlich auf eine Prozession.

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