Ein Pflichtpunkt für jeden Naturliebhaber bei einem Urlaub in der Provence ist wohl die Verdonschlucht. Mit bis zu 700 Metern Tiefe gehört sie zu den tiefsten Schluchten in Europa. Ich habe die letzten beiden Tage die Schlucht sowohl tief unten als auch hoch oben erkundet.
Am ersten Tag habe ich die Schlucht per pedes am Sentier Blanc-Martel erwandert. Der Wanderweg führt am einen Ende in die Schlucht hinab, dann tief in der Schlucht stromaufwärts, und am anderen Ende wieder aus der Schlucht heraus. Start- und Endpunkt kann man zum Glück jeweils mit einem Shuttle-Bus erreichen, sodass man nicht nach absolvierter Wanderung ganz woanders strandet.
Bereits die ersten Blicke in die Schlucht hinunter waren beeindruckend. Wenn man dann am Flussufer steht, und die Klippen gegenüber gehen nahezu senkrecht in die Höhe, und das mitunter für hundert(e) Meter, dann ist das nochmal atemberaubender. Leider ist es schwierig, dieses Majestätische auf Film zu bannen. Ich habe es zwar trotzdem versucht, aber die Bilder können trotzdem nur einen kleinen Eindruck vermitteln. Ich kann dem geneigten Leser daher nur (frei nach Karl Farkas) ans Herz legen: Schauen Sie sich das (selbst) an!
Zuerst ist man bei der Wanderung noch ungefähr in West-Ost-Richtung unterwegs. Knapp vor der Mitte der Wanderung macht der Fluss aber einen ziemlichen Knick, und verläuft dann (oder eigentlich: davor, denn man ist entgegen der Flussrichtung unterwegs) in Nord-Süd-Richtung – stellenweise anscheindend nahezu schnurgerade, denn von einem Aussichtspunkt hat hat man dann plötzlich eine Aussicht weit ins Flusstal hinein.
Um zum diesem Aussichtspunkt zu gelangen, muss man zuerst noch mühsam über (selbst für mich recht hohe) Steinstufen hinaufsteigen. Der Abstieg auf der anderen Seite ist aber noch spektakulärer: Dort hat man nämlich regelrecht ein Treppenhaus in eine Felsspalte hineingebaut. Mit mehreren Richtungswechseln geht es dann über zahlreiche Eisenstufen in die Tiefe – ein beeindruckendes Zeugnis der Ingenieurskunst, aber gleichzeitig auch ein bisschen furchteinflößend (und pratisch unmöglich auf ein Foto zu bekommen).
Ein anderes interessantes Zeugnis von Ingenieurskunst folgt dann gegen Ende der Wanderung: Weil die Schlucht an dieser Stelle viel zu schmal für einen Weg ist (wie man sich später im Blick zurück auch noch selbst vergewissern kann), hat man einfach zwei (in Summe) mehrere hundert Meter lange Tunnel in den Berg gebaut. (*) Mitten im längeren, zweiten Tunnel gibt es sogar einen kurzen Seitenstollen, durch den man zu einer kleinen Aussichtsplattform, der Baume aux Pigeons, über dem Fluss gelangt.
Auch hier gilt wieder: Die Fotos vermitteln nur einen ungenügenden Eindruck der Wirklichkeit. Um trotzdem ein gewisses Gefühl für die Dimensionen zu bekommen, möchte ich die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers auf den kleinen roten Punkt im nebenstehenden Foto lenken: Das ist ein (erwachsener) Wanderer.
Am Ende der Wanderung wartet mit dem Point Sublime noch ein schöner Aussichtspunkt, von dem aus man nochmals zurück zur Schlucht bzw. auf den „Zulauf“ zur Schlucht werfen kann.
Da ich mich aber nach diesem ersten Tag an der Verdonschlucht noch nicht sattgesehen habe, wollte ich heute die Route des Crêtes besuchen, die oben die Schlucht entlang verläuft, und die von zahlreichen Aussichtspunkten gesäumt wird. Ich hätte das zwar auch mit dem Auto machen können, aber das erschien mir dann doch zu sehr nach Tourismus amerikanischer Art. Daher habe ich mich für die Erkundung per Fahrrad entschieden. Zwar sind die etwas über 600 Höhenmeter für mich Flachlandradler etwas viel, aber der örtliche Fahrradverleih hatte ohnehin nur E-Bikes im Angebot, also hat sich dieses Problem praktisch von selbst erledigt.
So bin ich fröhlich die Route abgeradelt, und konnte in Ruhe die Aussicht von oben genießen. Dabei habe ich mich immer wieder fragen müssen, wo zum Teufel ich da bloß am Vortag in der Schlucht unterwegs gewesen sein könnte, so steil und unwirtsam wie die Hänge teilweise von oben wirken. Und doch muss es diesen Wanderweg wohl geben – außer meine Tracking-App am Handy hat recht, laut der ich nämlich mehrmals von der einen auf die andere Schluchtseite teleportiert worden bin. Da habe ich aber so meine Zweifel, ob das wirklich stimmen kann.
Auf jeden Fall ist die Verdonschlucht von oben genauso beeindruckend wie von unten – ja, ich behaupte sogar, auf ihre Weise ist sie (zumindest fast) genauso beeindruckend wie der „echte“ Grand Canyon.
(*) Streng genommen wurden die Tunnel nicht für den Wanderweg, sondern für ein später verworfendes Wasserkraftwerksprojekt gebaut. Heutzutage sind es aber zwei reine „Wandertunnel“.